Nach 70 Jahren kehrt das Gemälde "Mädchen mit Taube" von Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky an seinen ursprünglichen Platz ins Schloss Luisium zurück.
Ein spannender Archivfund
Der nach Livland (Estland) an die Universität Dorpat/Tartu als Professor berufene Karl Simon Morgenstern (1770-1852) besuchte im Sommer des Jahres 1800 das Luisium: „Der Garten Luisium ist nur von geringem Umfange, aber es ist auch hier jedes Plätzchen zweckmäßig benutzt […] Bau und Verzierung des Hauses verdankt man dem Geschmack des Herrn von Erdmannsdorff […] Da von Luisium keine gedruckte Beschreibung vorhanden ist, so nahm ich mir die Mühe, alles anzumerken.“ Tatsächlich vermerkte Morgenstern sehr exakt seine Eindrücke in einem allerdings nie veröffentlichten Tagebuch. Der überaus verdienstvolle Forscher zum Gartenreich Dessau-Wörlitz, Erhard Hirsch, entdeckte diese bedeutende Quelle und publizierte sie auszugsweise.
Eine Passage kennzeichnete er allerding als „schwer lesbar“. Die Quelle liegt als Fotokopie vor und konnte somit erneut gelesen und untersucht werden. Die besagte Stelle wird nun gelesen: „Schlafzimmer…, blaßgrün gemalt. Gemälde von Wouwermans, Schütz (Schweizergegenden, u.a. der Rheinfall). Ein Dessauisches junges Mädchen mit einer Taube, von Lisiewsky (im Farbenton in diesem Stück hat der von Poussin in seinen historischen.)“. Der Name Lisiewski ließ mich aufhorchen (Ausstellung 2010 in Mosigkau) und beim Abgleich meiner Lesedeutungen mit Kristina Schlansky am 12. Juni 2020 meinte sie: „Das Mädchen mit Taube hängt im Schloss Mosigkau.“
Im Jahr 1800 befand sich das Bild im Luisium und 2020 lässt es sich in Mosigkau nachweisen – die Frage: Wie kann das sein?
Hier nun der Versuch einer ideellen Rekonstruktion, da jegliche schriftlichen Quellen fehlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, Dessau war zu über 80 Prozent zerstört, setzte im sowjetisch besetzten Osten Deutschlands eine politische Neuorientierung ein. Hier sollte man sich ganz bewusst weitest möglich von der feudal geprägten Geschichte trennen und vermeintlich progressive Wurzeln popularisieren, das heißt, den Antipol zur Aristokratie sah man im Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts. So wurde entschieden, das Schloss Luisium zu einem „Museum der Kunst der Goethezeit“ zu gestalten. Um 1950 nahmen diese Ideen Gestalt an auf Initiative der Staatlichen Galerie Georgium. Der Großteil der Dessau-Wörlitzer Kunstsammlungen befand sich derzeit als Kriegsbeute in den Ländern der Sowjetunion. Die verbliebenen Kunstwerke des Luisiums wurden auf diverse Dessauer und Wörlitzer Standorte verteilt. Das Gemälde „Mädchen mit Taube“ gelangte so in das Schloss Mosigkau. Über den ursprünglichen Hängeort gab es keine Hinweise, bis zum 12. Juni 2020…
Uwe Qulitzsch, Abteilung Schlösser und Sammlungen
Bildschön - Das Dessauische junge Mädchen
Wenn Karl Simon Morgenstern im Sommer des Jahres 1800 in seinem Tagebuch „Ein Dessauisches junges Mädchen mit einer Taube", „von Lisiewsky“ vermerkt, dann stammen diese Informationen vermutlich von der uns heute nicht mehr bekannten Kastellanin, die Morgenstern erwähnte. Das in Öl ausgeführte und auf eine 89 x 76,5 Zentimeter große Leinwand in ein Oval gemalte „Mädchen mit Taube“ ist in einem weit ausgeschnittenen Kleid und mit einer, mit beiden Händen vor der Brust gehaltenen Taube dargestellt.
Auf dem Kopf trägt sie einen Strohhut, Blumen schmücken ihr Haar. Im Hintergrund erkennt man eine Landschaft mit Hirtenfeuer. Das ehemals im mecklenburgischen Landesmuseum befindliche, heute verschollene Vorbild wird in der Monografie zu Antoine Pesne von Ekhart Berckenhagen von 1958 dem aus Frankreich stammenden preußischen Hofmaler zugeschrieben.
Die ehemals im Luisium und seit den 1950er Jahren im Schloss Mosigkau ausgestellte Version der Kulturstiftung findet hier ebenfalls Erwähnung, jedoch als eine „wenig veränderte Kopie“ nach Pesne. Da der Dessauer Hofmaler Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky häufig Bilder kopiert hat, darin ein großes Talent besaß und auch Kontakte zum Mecklenburger Hof unterhielt, könnte die Behauptung, das Bild stamme von Lisiewsky, zutreffen. Genauso gut könnte das Gemälde auch von einem Mitarbeiter der Pesne-Werkstatt kopiert worden sein. Bei dem Mädchen mit der Taube handelt es sich um ein typisches Bildthema aus der Zeit des Rokoko. Die heitere Stimmung des Bildes wird durch die Jugend und den Reiz des Mädchens hervorgerufen. Der tiefe Brustausschnitt des Kleides und die davorgehaltene Taube verleihen dem Gemälde einen deutlichen erotischen Klang.
Nach 70 Jahren kehrt nun das „Mädchen mit der Taube“ – es wurde jüngst vor der „Übersiedlung“ noch restauriert – in das Schloss Luisium zurück. Hier bekommt es im Gesellschaftszimmer neben dem Saal seinen würdigen Platz.
Wolfgang Savelsberg, Abteilung Schlösser und Sammlungen