Am 16. und 17. September 2022 tagte die Dessau-Wörlitz-Kommission öffentlich im historischen Gasthof „Eichenkranz“ in Wörlitz.
Die 1964 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegründete und 1991 reaktivierte Kommission wurde ursprünglich im Vorfeld des 200. Jahrestages der Gründung des Wörlitzer Gartens ins Leben gerufen. Seither hat sie viele Themen rund um das Gartenreich wissenschaftlich betrachtet. In diesem Jahr widmete man sich unter dem Titel „Reformen auf dem Prüfstand“ den vielfältigen Reformansätzen des Fürsten Franz in den Bereichen Verwaltung, Ökonomie, Landesausbau, religiöse Toleranz, Sozial- und Schulwesen. Dabei wurde hinterfragt: Wie weit gingen die Reformen des Fürsten wirklich, die ihm in der Forschung seit vielen Jahrzehnten zugeschrieben werden?
Eröffnet wurde die Tagung durch Dr. Paul Beckus (Halle), der die Tagung gemeinsam mit Fabian Schubert nicht nur konzipiert hatte und leitete, sondern selbst auch über die „Herrschaftsreformen des Fürsten Franz im Spiegel der politischen Konjunkturen um 1800“ referierte. Einen besonderen Gewinn für die Dessau-Wörlitz-Forschung stellte der Beitrag von Christian Eger (Halle) dar, der über den „literarisch-kulturellen Aufschwung in Anhalt-Dessau als Kollateralgewinn der Besserungs-Politik des Fürsten Franz“ sprach. Mit dem Begriff des „Projekts“ bot Eger auch eine Alternative zum kritisch hinterfragten Begriff der „Reform“ an. Nicht unerwähnt bleiben sollen die Beiträge von Franziska Waßmann, Fabian Schubert und Dr. Natalie Gutgesell, die vor allem einen Blick auf die sozialen Verhältnisse in Anhalt-Dessau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts warfen. In ihrer Gesamtheit zeichneten die Vorträge das Bild eines zeittypisch agierenden aufgeklärten Fürsten, der unterschiedliche Projekte zur Stärkung seiner Position und seines Rangs einzusetzen verstand.
Dr. Anette Froesch, Leiterin der Abteilung Schlösser & Sammlungen der Kulturstiftung, bei der Begrüßung der Teilnehmer*innen ©KsDW, Bildarchiv, Peter Dafinger
Am Ende gaben Dr. Michael Niedermeier (Berlin) und Prof. Dr. Andreas Pečar (Halle) einen Ausblick auf die Dessau-Wörlitz-Forschung der Zukunft. Sie betonten ausdrücklich, dass es der jüngeren Forschung nicht auf eine Dekonstuktion des „Vater Franz“-Mythos ankomme. Es sei vielmehr Ziel, ein realistisches Bild des Wirkens von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau zu entwickeln – und dies dann auch transparent, anschaulich und mit aktuellen Fragestellungen korrelierend in der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Für die Forschung bleibt viel zu tun – weit mehr, als es die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz im Rahmen ihrer täglichen Arbeit leisten kann. So ist das politische Wirken des Fürsten Franz bislang noch viel zu wenig bearbeitet worden. Auch eine Kontextualisierung seines Wirkens steht aus: Ein Vergleich mit anderen kleinen deutschen Territorien wie Weimar oder Gotha würde seine Leistungen deutlicher kenntlich machen.
Eine Tagung für 2023 ist schon in Vorbereitung, in der es um das literarische Leben im Anhalt-Dessau gehen wird. Wir freuen uns auch auf diese neuen Forschungsergebnisse, denn die Tagungen der Dessau- Wörlitz-Kommission bereichern immer auch die Ausstellungs- und Vermittlungspraxis der Kulturstiftung!
Dr. Ingo Pfeifer, Abteilung Schlösser & Sammlungen