Die Frage, welchen Vorbildern die einzelnen Gebäude im Gartenreich folgen, hat die Fachwelt immer wieder beschäftigt. In etlichen Fällen liegt es auf der Hand. Manchmal sind die Zusammenhänge nicht so offensichtlich. Ein solcher Fall ist das Wallwachhaus in Rehsen, wenige Kilometer östlich von Wörlitz gelegen.
Der Fachwerkbau mit Walmdach erhebt sich über einem Feldsteinsockel. An seiner Längsseite fallen die beiden fast halbrunden Öffnungen auf, die mit Holz zugesetzt sind. Auch an den Schmalseiten zeichnen sich solche Strukturen im Fachwerk ab.
Wallwachhaus Rehsen, (©KsDW, Heinz Fräßdorf)
Auf der Suche nach dem Vorbild wird man in der Schweiz fündig, genauer gesagt nahe der Stadt Murten (Kanton Fribourg). Das dortige Beinhaus wies ähnliche halbrunde Öffnungen auf, durch die man die Knochen sehen konnte. Auch das Walmdach ist vergleichbar. Das Vorbild ist nicht nur augenscheinlich, sondern sogar verbrieft: Fürstin Louise notierte nämlich für den 18.4.1800 in ihrem Tagebuch: „ […] bis halb 6, wo ich nach Rehsen fuhr, um das neu erbaute Wachhaus als Murtener Beinhaus zu sehen. […]“.
Was hat es mit dem Beinhaus auf sich?
Es erinnerte an die Schlacht bei Murten im Jahre 1476 zwischen dem Burgundischen Herzog Karl dem Kühnen (1433–1477) und den Eidgenossen. Der Burgunder wollte die an sein Land grenzenden Gebiete, darunter auch schweizerische, seiner Herrschaft einverleiben. Es kam zu den sog. Burgunderkriegen (1474–1477) zwischen Karl einerseits und den Schweizer Eidgenossen mit ihren Verbündeten andererseits. Im Juni 1476 nahm er Bern ins Visier, zog mit einem stattlichen Heer gegen die Eidgenossen und belagerte die Stadt Murten. Der Feldzug endete für Karl in einer verheerenden Niederlage. Die Gefallenen begrub man auf dem Schlachtfeld. Etwa 10 Jahre danach errichtete man auf Veranlassung des Murtener Geistlichen Peter von Erlach das Beinhaus, in dem die Knochen der Erschlagenen eingelagert wurden. Schnell entwickelte es sich zu einem Ort der Erinnerung an diesen eidgenössischen Sieg und zog Touristen und Souvenirjäger an. Hier lag wohl auch der Grund, weshalb französische Soldaten es im Jahre 1798 abrissen. Es erinnerte sie stets an die schmachvolle Niederlage.
Sein Aussehen ist lediglich durch einige zeitgenössische Grafiken zum Beispiel von Johann Rudolf Schellenberg, Salomon Gessner oder David Herrliberger überliefert. Auf diese Vorlagen gehen spätere Darstellungen zurück, wie die auf einer Medaille aus dem Jahre 1821, die sich heute im Besitz des ehemaligen Stiftungsdirektors Dr. Thomas Weiß befindet. Ihm sei für diesen Hinweis sehr gedankt. Ob Fürst Franz es vor dem Abriss noch selbst gesehen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es dürfte ihm aber ein Begriff gewesen sein. Vielleicht hat Johann Caspar Lavater, der in seinen Band „Schweizerlieder“ auch den Burgunderkriegen und der Schlacht bei Murten Gedichte gewidmet hat, ihm davon berichtet.
Und wo liegt der Bezug zum Gartenreich?
Fürst Franz verspürte Sympathie für die Eidgenossen, die sich gegen mächtige Gegner wie Habsburg oder eben Burgund durchgesetzt haben. Die zahlreichen Glasscheiben im Gotischen Haus, die den legendären Schwur der drei Eidgenossen zeigen oder die Schweizer Helden Arnold von Winkelried und Wilhelm Tell abbilden, sind ein Beispiel dafür. Auch sein Besuch auf dem Rütli, von dem er sich einen Efeureiß mitbrachte, zeigt dies. Für Franz, der sich auch stets gegen mächtige Nachbarn zu behaupten hatte und dazu mit anderen kleinen Fürsten paktierte, mag die Eidgenossenschaft Vorbildfunktion gehabt haben. Es passt also gut ins Bild, dass Franz den Murtener Karner, dieses weithin bekannte Symbol für den Schweizer Freiheitskampf, in seinem Gartenreich nachbauen ließ.
Dr. Rüdiger von Schnurbein, Abteilung Schlösser & Sammlungen